Es ist zwar nicht ganz ungewagt, Kihon-Waza mit einer wissenschaftlichen Grundlagenforschung zu vergleichen. Vergleiche hinken ja immer ein wenig. Aber hier wie dort steht zunächst die reine und zweckfreie Erkenntnisorientierung im Vordergrund. Grundlagenforschung zielt ja darauf ab, ein Verständnis für die Natur und die Gesetzmäßigkeiten von Phänomenen zu erlangen und zu erweitern.

Eine zunächst eher intellektuelle Herangehensweise an die Inhalte des Kihon-Waza wird relativ schnell durch ein achtsames Hineinfühlen ergänzt. Erste zarte Hinweise auf die Wegeigenschaft des Aikido können hier bereits aufscheinen.

Anwendungsorientierte Grundlagenforschung bezieht sich auf die Umsetzung grundlegender Erkenntnisse in konkrete Anwendungen. Hierbei werden die Ergebnisse der Grundlagenforschung für die Entwicklung von neuen Produkten, Technologien oder Verfahren genutzt, um praktische Probleme zu lösen oder innovative Lösungen zu schaffen.

Ähnlich können auch im Aikido, auf den körperlich-geistigen Erkenntnissen und Fähigkeiten der Grundlagenübungen des Kihon-Waza aufbauend, die verschiedenen Möglichkeiten von Anwendungen erarbeitet werden.

Alles beginnt immer mit dem ersten Schritt

Für Aikido-Interessenten beginnt nun die Suche nach einem „Labor“, in dem die „Forschung“ beginnen kann. Ein Dojo oder eine Gruppe in Wohnortnähe ist vermutlich die erste Wahl. Wobei es durchaus empfehlenswert ist, auch andere Dojo/Gruppen mit einzubeziehen, die nicht unbedingt fußläufig erreichbar sind. – Sofern machbar.

Vereinbare mit dem Dojoleiter eine Probestunde. Achte auf die Atmosphäre im Dojo und auf die Art und Weise, wie der Übungsleiter auf die Teilnehmer eingeht. *)

Vorteilhaft ist es, wenn es bereits länger übende Fortgeschrittene gibt. Registriere, wie bereitwillig neue Teilnehmer von ihnen angenommen werden. Weisen sie diese uneigennützig in das neue „Forschungsprojekt“ ein und machen sie behutsam mit den „Arbeitsmaterialien“ vertraut?

Aus einer neuen und fremden Umgebung ein angenehmes Wohlgefühl mit nach Hause zu nehmen, wäre ein guter Start auf einem langen und erfolgreichen Forschungs-(Übungs)weg.

*) In einem sehr interessanten Beitrag geht unser Autor Eckhardt Hemkemeier, Aikidolehrer aus Hamburg und Orchestermusiker beim NDR, auf seine eigenen Erfahrungen als Schüler und Lehrer ein, die er sowohl präzise als auch humorig beschreibt.

Die Rolle der Rituale im Aikido

Das erste, womit neue Teilnehmer konfrontiert werden, sind die von der japanischen Kultur ins Aikido herüberwehenden Rituale.

Diese muten Anfängern zunächst etwas seltsam an, weil ungewohnt. Daher liegt es in der Verantwortung des Übungsleiters, diese gut und nachvollziehbar zu erläutern.

Denn erst, wer etwas darüber weiß, kann sie verstehen. Und sie dann auch mit Leben füllen. Er erkennt, dass diese Rituale zu Harmonie und Respekt sowie zum individuellen und allgemeinen Wohlbefinden beitragen können. Im partnerschaftlichen Üben des Aikido ist ein Respektieren und Respektiertwerden bereits angelegt. Das zu erkennen und zu fördern ist Teil des Übungsweges. Damit es auch in den Alltag der Übenden mitgenommen werden kann.

Werkzeugkasten

Alle Grundtechniken und Bewegungselemente der „Grundlagenforschung“ Kihon- Waza lassen sich gut mit der Werkzeugausstattung eines Handwerkers vergleichen.

Auch der muss genau wissen, welches Werkzeug wie bei welchem Material für welchen Zweck eingesetzt werden kann. Und nicht zuletzt zeigen es die eingeübten Fertigkeiten im Umgang damit, ob eine Arbeit auch gelingt.

Grundlagenforschung Kihon-Waza - das "Labor" - wie ein Stein auf dem anderen

Eine Stufe baut auf der anderen auf. (Bild: Kadence Templates)

Was aufs Aikido bezogen heißt, die Grundlagen des Kihon-Waza wieder und wieder so intensiv zu üben, dass sie zu verwendbaren Bewegungsmustern des eigenen Körpers werden können. Diese gehen dann in einem fortlaufenden Üben von Angriff und Verteidigung langsam in eine fließende Form über.

Und die Konzentration kann sich immer stärker von der korrekten Technikausführung auf ein funktionierendes Bewegungsgeschehen verlagern.

Ein „Steinzeitkörper“,
an den Herausforderungen seiner Zeit gestählt, verkümmert förmlich in den Niederungen unserer heutigen technologischen Zivilisation.

Aus dem Alltag und für den Alltag

Voraussetzung für ein gutes Aikido ist, dass vom jeweiligen Übungsleiter frühestmöglich ein Zugang zu den „Werkzeugen und Möglichkeiten“ eröffnet wird, die in uns bereits vorhanden sind. Und gerade im Alltag von jedem ganz selbstverständlich auch genutzt werden. Leider oft mehr schlecht als recht!

Grundlagenforschung Kihon-Waza - das "Labor" - Kleinkind optimal aufgerichtet

Wie von der Natur vorgesehen: entspannt, geerdet, aufgerichtet, die Schwerkraft optimal ausbalanciert, präsent. Foto: pxhere

Die grundlegenden äußeren Formen Stehen, Aufrichtung, Bewegen (Gehen, Rennen, Springen), Haltung, Atmung, haben wir alle in der Anfangszeit unserer Existenz in uns entdeckt. Und das mit Frust und Freude immer wieder aufs Neue ausprobiert. Bis es irgendwann relativ unfallfrei wie von selbst funktionierte – und dann auch nie wieder hinterfragt wurde.

Den immens wichtigen inneren Instrumenten Entspanntheit, Fühlen, Spüren, Achtsamkeit, Wahrnehmung ging es auch nicht viel besser.

Ein „Steinzeitkörper“, an den Herausforderungen seiner Zeit gestählt, eingebrannt in den Genen, weitervererbt von einer Generation zur nächsten, verkümmert förmlich in den Niederungen unserer heutigen technologischen Zivilisation. Dieses Ur-Erbe ist im Bild des kleinen Jungen weiter oben noch deutlich erkennbar.

Und so sind wir „auf den Hund“ gekommen, wir nennen das unseren Alltagskörper.

Dieser Alltagskörper ...

... ist geformt durch die Lebensumstände, denen wir seit der Kindheit ausgesetzt sind.

War er zu der Zeit noch weich und beweglich, dadurch auch hochfunktional und nahezu "unkaputtbar", veränderte sich spätestens mit dem Schulbesuch eigentlich alles.

Angefangen mit stundenlangem Sitzen, dem Mangel an Bewegungsherausforderungen in einer intakten Natur, bis hin zu einer überreichen Verfügbarkeit digitaler Möglichkeiten, die zusätzlich zu dauerhaft unnatürlichen Haltungen verführten. Was sich bis ins Erwachsenenalter hinein fortsetzte. Unterstützt durch eine fatale Fehlernährung.

Während der langen evolutionären Entwicklungszeit hat sich der menschliche Körper den Umweltbedingungen der Steinzeit erfolgreich angepasst.

Allein die Ernährung konnte nur aus der Region bezogen werden und war ausschließlich Bio.

Was auch immer gesammelt und erjagt wurde, war stets mit viel Bewegung verbunden. Allerdings gab es die so erlangten Nahrungsmittel nicht immer in ausreichender Menge. Dann musste zwangsläufig auch mal gefastet werden. Welche überaus positiven Auswirkungen die damalige Zwangssituation heute auf Körper und Geist haben kann, ist in diesem Focus-Artikel umfänglich beschrieben.

Unser Körper ist durchaus vergleichbar mit einem Musikinstrument. Irgendwann nicht mehr benutzt, wird es in den Keller oder auf den Dachboden verbannt und vergessen. Bis es nach vielen Jahren wiedergefunden wird. – Um es in einen wiederverwendbaren Zustand zu bringen, muss jetzt ein aufwendiger Restaurationsaufwand betrieben werden.

Was muss eigentlich alles getan werden, damit unser Körper in etwa wieder an dem anknüpfen kann, wie er in jüngeren Jahren einmal war? Hierbei können vorzugsweise verschiedene alte wie neue Bewegungsmethoden helfen wie Pilates, Yoga, Tai-Chi oder Qigong, die den Körper ganzheitlich fördern.

Aber was wäre, wenn wir von der Kita an durch alle Bildungseinrichtungen hindurch von Bewegungstherapeuten begleitet würden, die uns dabei helfen, unser frühkindliches Bewegungsinteresse über die Zeit zu erhalten.

Jenseits vom häufig wenig geschätzten und für viele oft unsäglichen Schulsport.

Wer relativ unbeschadet auf eine sportliche Karriere zurückblicken kann, hat nicht zu unterschätzende Vorteile. Alle anderen haben meist einen gewissen Nachholbedarf. Weshalb vor dem eigentlichen Aikidoüben auch immer ein mehr oder weniger umfangreiches Aufbauprogramm absolviert wird.

Eine sehr große Bedeutung messen Kampfkunstmeister unterschiedlichster Kampfkunsttraditionen einer körperlich-geistigen Entspanntheit bei. Dazu ist aber das Training im Dojo wenig geeignet. Dafür gibt es hierzulande viele Angebote, die ganz gezielt auf den Erwerb einer „Entspannungsfähigkeit“ hinarbeiten.

Darüber hinaus kann eine stabile Entspanntheit sehr hilfreich dabei sein, gegen stressige Situationen im Alltag eine eigene Stressresistenz zu trainieren.

Nicht immer – aber immer öfter

„Jeden Tag eine gute Tat!“, heißt es bei den Pfadfindern. Für den Forschenden in Sachen Aikido wäre es eine gute Idee, sich diesen Leitspruch im übertragenen Sinn zu eigen zu machen. Was bedeutet, an jedem Tag mindestens einmal innezuhalten und sich an das im Dojo vermittelte und im Alltag ohnehin Praktizierte zu erinnern: aufgerichtete Haltung, geerdetes Stehen, fließendes Gehen, tiefe und gleichmäßige Atmung. Und das problemlos zu jeder passenden Zeit und an jedem geeigneten Ort.

Dieses Erinnern sollte allerdings vom Übungsleiter durch regelmäßige Hinweise gut unterstützt werden.

So kann aus einem zeitlich limitierten Üben im Dojo ganz nebenher ein tägliches Training werden. Und Fortschritte können durchaus in einem überschaubaren Zeitraum spürbar und erlebbar werden. Ungemein wichtige Erfolgserlebnisse inbegriffen.

Auf diese Weise kann sich ein wie auch immer wahrgenommener Alltagskörper langsam in Richtung eines Aikikörpers transformieren.

Aussicht

Im 2. Teil der Grundlagenforschung füllen wir das "leere Gefäß" Kihon-Waza mit den grundlegenden technischen Inhalten des Aikido. Erkunden die verschiedenen Methoden der Übungsformen des Kihon-Waza mit und ohne Partner. Werfen dann einen Blick auf die "Forschungsmöglichkeiten" der Soloübungen und befassen uns abschließend mit der Bedeutung von Bewegungsmustern und Körpergedächtnis.

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