
Vorspann und Einführung
Leise und eher zurückhaltend trat Mitte der 1960er Jahre AiKiDo der deutschen Kampfkunstszene bei. Die häufig gestellte Frage Interessierter, was das denn sei, wurde damals oft mit Deutungsversuchen der einzelnen Schriftzeichen (jap. Kanji) beantwortet. Was aber nur selten zu einem nennenswerten Erkenntnisgewinn führte.
Die Zusammenfassung dreier sino-japanischer Schriftzeichen (Kanji) mit den ihnen eigenen Bedeutungen zu einem neuen eigenständigen Wort AiKiDo, verdient durchaus eine eingehendere Betrachtung.
Gibt es doch bereits hier deutliche Hinweise auf die dem Auge nicht sichtbaren, miteinander wechselwirkenden Geist-Körper-Verbindungen.
Daher will ich hier mal etwas mehr Information wagen.
Japanische Begriffe sind oft nicht einfach zu übersetzen, denn sie sind tief in der japanischen Kultur verankert. Schwierig wird eine Übertragung in andere Sprachen, wenn es dort nichts entsprechendes gibt, schon gar nicht im Alltagsgebrauch.
Ai

Ai
Das erste Kanji wird allgemein im Sinne von Harmonie, Vereinigen, Übereinstimmen, Koordination verstanden.
Das entspricht in Bezug auf Körperbewegungen im westlich-medizinischen Sinne dem harmonischen Zusammenwirken von Faszien, Muskeln, Sehnen, Gelenken zu einer „Ganzheitlichkeit“.
Ai bedeutet letztlich, dass bei jeder Bewegung immer der ganze Körper zu einer vollkommenen Einheit verbunden sein sollte. (Dazu fällt mir das Bild vom Schwarmverhalten von bspw. Fischen oder Vögeln ein.)
Bereits hieraus entwickelt sich eine optimalere Körperorganisation, woraus wiederum eine gewisse „innere Stärke“ und Stabilität resultiert.
Moshe Feldenkrais, Begründer der nach ihm benannten Feldenkrais-Methode, formulierte es so:
„Nur ein gut organisierter Körper
kann optimal funktionieren.“
Darüber hinaus findet sich dieses Kanji in vielen Worten und Wortverbindungen des japanischen Alltags, in sozialen Beziehungen oder in philosophischen Konzepten.
Einige Alltagsbeispiele:
相合傘 (Aiaigasa) – gemeinsamer Regenschirm (Symbol der Liebe bei Paaren);
組合 (Kumiai) – Vereinigung, Gewerkschaft, Verband
知り合い (Shiriai) – Bekannter, Bekanntschaft (wörtl. „sich kennen, zusammen“)
Missverständlich
In anderen Zusammenhängen wird dem Kanji „Ai“ noch eine ganz andere Bedeutung zugeordnet, nämlich „Liebe“ im emotionalen oder spirituellen Sinne und kommt ebenfalls in vielen alltäglichen wie auch philosophischen Begriffen vor. Was aber durch ein völlig anderes Schriftzeichen repräsentiert wird.
Einige Alltagsbeispiele:
恋愛 (Ren’ai) – romantische Liebe, Liebesbeziehung
親愛 (Shin’ai) – aufrichtige, innige Zuneigung (z. B. „lieber Freund“)
愛国 (Aikoku) – Vaterlandsliebe, Patriotismus
愛好 (Aikō) – Vorliebe, Leidenschaft für etwas
Aus Unkenntnis fließt das schon mal in seltsame Interpretationsversuche ein und erzeugt damit ein ziemlich verzerrtes Bild einer Kampfkunst.
Der Aikidobegründer hat zwar häufig darauf verwiesen, dass Aikido Liebe sei. Aber dabei bezieht er sich auf seine persönlichen spirituellen Erfahrungen einer unendlichen, göttlichen, alles durchdringenden Liebe. Womit er den Unterschied seines Verständnisses von „Aiki“ gegenüber dem der alten Krieger deutlich machen wollte. Ohne eigene religiös-spirituelle Erkenntnisse sind Zusammenhänge von Kampfkunst und Spiritualität allerdings recht schwer vermittelbar.
Das entspricht auch nicht unseren gängigen Vorstellungen von Liebe, die wohl eher dem Zeitalter der Romantik zuzuordnen sind.
Sprachwissenschaftlich handelt es sich bei dem Kanji „Ai“ um ein sogenanntes „Homophon“. Diese sind nur in der Aussprache identisch, aber völlig unterschiedlich in Bedeutung und Schreibweise. Z. B. „Leere“ und „Lehre“. Mit zwei „ee“ für ein Behältnis ohne Inhalt oder auch als philosophischer Begriff des „Nichts“. Mit „eh“ für die Zeit der Ausbildung in einem „Lehr“-Beruf, im akademischen Bildungswesen allgemein für Unterweisung, Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten, Forschung.
Ki

Ki
Hierzulande geläufiger unter dem chinesischen Begriff Chi/Qi (wie Tai Chi oder Qi-Gong). Weitere Bezeichnungen aus anderen Kulturen sind Prana (ind.), Mana (hawaii.), Pneuma (griech.), Baraka (arab.), Orgon (W. Reich), Viriditas (Grünkraft – Hildegard von Bingen).
Dieses zweite Kanji Ki beschreibt die Grundkraft/Grundenergie, die der gesamten manifesten Welt innewohnt.
Oder wie Meister Yoda (hoher Rat im Jedi-Orden) so spricht:
Das Leben sie erschafft,
zur Entfaltung sie bringt,
ihre Energie uns umgibt,
verbindet mit allem uns,
fühlen du sie musst,
zwischen dir, mir,
dem Baum, dem Felsen dort,
allgegenwärtig – ja!„Möge die Macht mit dir sein!“
Hier und Heute
Eckhart Tolle ist ein prominenter deutsch-kanadischer spiritueller Lehrer unserer Zeit. Er spricht vom Manifesten als der sichtbaren physischen Welt. Die für uns nicht sichtbare und auch nicht so ohne weiteres zugängliche Quelle aller Dinge bezeichnet er als das Unmanifeste.
„Das Unmanifeste ist die Quelle des Chi. Chi ist auch das innere Energiefeld Deines Körpers. Es ist die Brücke zwischen Dir und der Quelle [. . .] Chi kann mit einem Energiestrom verglichen werden [. . .] Chi ist Bewegung, das Unmanifeste ist Stille … Chi ist die Verbindung zwischen der nichtsichtbaren Quelle und dem physischen Universum.“ *)
*) Eckhart Tolle, Jetzt! Die Kraft der Gegenwart. Die Quelle des Chi, S. 140 ff.
Ki ist die Kraft, die die Welt
im Innersten zusammenhält.
Do

Do
Das dritte Kanji Do bedeutet Pfad, Weg, Straße.

Wege gibt es viele: Fahrradwege, Waldwege, Feldwege, Umwege, Irrwege, Handelswege. Es gibt auch Pilgerwege, Glaubenswege, Wege im Budo wie Ju-Do, Ken-Do, Iai-Do, Karate-Do, Aiki-Do, Kyu-Do. Oder der Weg des Blumensteckens (Ka-Do), der Teezeremonie (Cha-do), der Kalligraphie (Sho-Do). Und viele andere.
Die einen Wege zeigen dir Ortsveränderungen an – andere Wege weisen zu DIR SELBST.
DEIN persönlicher Weg entsteht dann, wenn DU von etwas fasziniert bist und dann übend dieser Faszination mit Kontinuität und Hingabe folgst.
Deshalb ist es wichtig, einen guten Sensei zu finden, einen Lehrer des Weges, der selbst schon lange auf dem Weg ist.
Folge aber nicht den Spuren Deiner Sensei –
sondern suche, was sie gesucht haben !
Warum die Silben in Ai-Ki-Do trennen? Die Grundlage von Aikido ist Aiki, wie auch in der ursprünglicheren Kampfkunst Aikijujutsu. Niemand würde etwa auf die Idee kommen, die Silben von Karatedo zu trennen. Meist wird es ja sogar nur als Karate bezeichnet. Ebenso wäre es unsinnig, im Iaido die Silben getrennt zu betrachten. Unser Weg ist der des Aiki, der natürlichen Bewegung. Wenn Aikidoschülern eine Bewegung besonders gut gelingt, ist das meistens damit verbunden, dass sie ihm/ihr leicht erschien und das muss doch Skepsis hervorrufen, oder nicht? Dabei ist doch genau diese (natürliche) Leichtigkeit der Bewegung das Ziel, die Technik (obwohl nur ihre richtige Ausführung zielführend ist) ist sekundär.
Ich darf hier einen Freund beim Bogenschießen zitieren:
„Kaum macht man mal alles richtig, trifft man auch!“
Deinen letzten Satz vom Bogenschießen habe ich ein wenig anders in Erinnerung: „Einmal fand der Pfeil ohne Absicht sein Ziel, danach wollte ich alles richtig machen.“
Hallo Jochen, erstmal schönen Dank für deinen Kommentar. Aber leider bin ich jetzt erst dazu gekommen, mir die Kommentare mal etwas genauer durchzulesen. Mir scheint, als hättest du da einiges mißverstanden. Was den Begriff „Aikido“ betrifft, möchte ich der einfachheithalber auf die ersten beiden Absätze w. o. verweisen. Ich denke, da ist bereits die Zusammensetzung der drei einzelnen Kanji zu einem eigenständigen Begriff aufgezeigt. Im weiteren Verlauf werden diese Kanji in ihrer je eigenen Bedeutung doch hoffentlich hinreichend beschrieben.
Auch „Karate“ ist ein Wort aus zwei Kanji mit eigenen Bedeutungen. Ursprünglich verwies das Kanji „Kara“ auf die chinesische Herkunft und das Kanji „Te“ auf Hand. Meister Funakoshi, der Karate von Okinawa auf die japanische Hauptinsel gebracht hat, veränderte die Bedeutung von „Kara“ auf „Leer“. Somit wurde aus Karate, der „China Hand“ die heute geläufigere „Leere Hand“.
Auch Iaido ist ein Wort aus drei Kanji: „I“ = körperlich/geistig anwesend sein, „Ai“ und „Do“ werden ähnlich interpretiert wie bei Aikido. Iaido wird als „Weg des ganz Dabei-Seins“ übertragen.
Der Beitrag ist ja nun schon länger online, aber hierzu mal mein Kommentar:
Der Weg des Aiki-do ist der Weg des Aiki.
Es sind also nicht drei Silben, die zu einer Bedeutung zusammengezogen werden, sondern eigentlich nur zwei.
Aiki mit „natürliche Bewegung“ zu übersetzen wäre allerdings sehr unzureichend.
Aiki ist das in Verbindung bringen („Ai“) zweier scheinbar gegensätzlicher Kräfte, zweier „Ki“ (Yin Yang, Himmel Erde, Feuer Wasser) die durch „Intent“ (Yi) im eigenen Körper vereint werden, was eine Wirkung auf angreifende Kräfte hat, in der Art, dass diese scheinbar neutralisiert werden oder sogar eine Gegenreaktion spürbar wird, etwa in der Art eines gefühlten „elektrischen“ Schocks oder dem sofortigen kompletten Gleichgewichtsverlust.
Das entspricht in etwa dem, was Personen, die M. Ueshiba angegriffen haben, berichteten.
Die Wirkung beruht auf einer Konditionierung der myofaszialen Strukturen, die nur durch intensives spezielles Aiki-Training (Aiki-in-yo-ho) realisierbar ist, das körperliche und mentale Anteile hat.
Die Trainingsmethode wurde von Sokaku Takeda nur an einige ausgewählte Schüler weitergegeben, u.a. an Morihei Ueshiba, der jedoch seinerseits auch nur wenige Schüler in dieser Methode unterrichtet hat.
Im heutigen modernen Aikido ist Aiki als Fähigkeit nur bei sehr wenigen Personen vorhanden und wird auch als Zielvorstellung des heutigen Aikido vom jetzigen Doshu nicht unterstützt.
Interpretationen von Aiki als „harmonische Bewegung“ oder dergleichen beruhen vor allem auf der Nichtkenntnis dessen, was Ueshibas „Aiki“ tatsächlich ausmachte.
Ueshiba war ja nicht dafür berühmt, dass er schöne harmonische Bewegungen machte, sondern dafür, was er mit einem reellen Angreifer tatsächlich tun konnte, und das diese ohne zu wissen was passiert war, einen Zustand des kompletten Verlustes ihrer Kraft, ihres Gleichgewichts und ihrer Koordinierung erfuhren.
Lieber Markus,
herzlichen Dank für Deinen sehr kompetenten Kommentar. Damit ergänzt Du meinen Beitrag um einen für Aikido-Übende ganz entscheidenden Aspekt. Wobei ich das Thema Aiki hier bewußt ausgeklammert habe, um es später in einem eigenen Beitrag ausführlicher zu behandeln. Denn hier handelt es sich ja schon um einen eigenständigen Begriff mit einer klar umrissenen Bedeutung, repräsentiert durch die beiden Kanji Ai und Ki, wie Du ja treffend dargestellt hast.
Dein Kommentar hat mich auch dazu veranlaßt, das Kanji „Ai“ noch mal beispielhaft als Bestandteil anderer Wortverbindungen des japanischen Alltags, in sozialen Beziehungen oder in philosophischen Konzepten aufzuzeigen.
Beim nochmaligen Durchlesen Deines Kommentars ist mir gerade etwas ganz anderes aufgefallen. Du schreibst, Im heutigen modernen Aikido ist „Aiki“ als Fähigkeit nur bei sehr wenigen Personen vorhanden und wird auch als Zielvorstellung des heutigen Aikido vom jetzigen Doshu nicht unterstützt.
Das ließe sich ja so interpretieren, dass es zwei grundlegend verschiedene Arten von Aikido gibt: einmal das Mainstraem-AiKiDo, das vom Honbu-Dojo verbreitet wurde und sich überwiegend auf äußere Formen stützt und zum anderen ein Aiki-Do als „Weg des Aiki“, in dem die besonderen Fähigkeiten Ueshibas zumindest als Zielvorgabe nur bei wenigen Aikidoübenden praktiziert werden.